Oral History

Bedeutung von Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen

Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen haben für die Zeitgeschichte besondere Bedeutung. Sie geben aus der Sicht des Individuums Aufschluss darüber, wie Menschen Geschichte gestalteten und erlitten; sie enthalten Informationen, die sich in keinen schriftlichen Dokumenten finden; und sie machen deutlich, dass Erinnern ein Konstruktionsprozess ist, der seinerseits historischer Veränderung unterliegt. Oral History-Interviews sind also eine wichtige Ergänzung zur schriftlichen Überlieferung. Wo es keine schriftlichen Dokumente gibt oder diese der Forschung (noch) nicht zugänglich sind, bilden die Aussagen der damals Beteiligten oft die einzigen Quellen. Weil wir im privaten wie im geschäftlichen Leben immer weniger Dinge in herkömmlicher Weise auf Papier schriftlich festhalten und die Archivierung digitaler Kommunikation (E-mails, Social Media) noch in den Anfängen steckt, erhalten Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen als persönliche Selbstzeugnisse zusätzliche Bedeutung.

Interviews des Archivs für Zeitgeschichte

Seit 1973 führt das Archiv Kolloquien mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen durch und zeichnet diese auf. Die über 160 Gespräche mit zumeist bekannten Persönlichkeiten vor geladenem Publikum finden sich in der Sammlung Tondokumente Zeugen der Zeit. Von 2005 bis 2012 ermöglichte die Dokumentationsstelle Jüdische Zeitgeschichte aus Anlass des Holocaust-Gedenktags 28 Begegnungen zwischen Schulklassen und Holocaustüberlebenden. Die dabei entstandenen mündlichen Berichte der Überlebenden sind als Tondokumente und als Videomitschnitte dokumentiert. 2015/16 wurden im Auftrag des Archivs biografische Interviews mit 24 Jüdinnen und Juden in der deutschen Schweiz und der Romandie geführt. Im Rahmen eines Forschungsseminars, das im Frühjahrssemester 2019 in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Jüdische Studien der Universität Basel durchgeführt wurde, interviewten fortgeschrittene Master-Studierende zwölf Holocaustüberlebende in der ganzen Schweiz. Diese Interviews wurden im AfZ als Tondokumente LV Basel 2019 archiviert. Dazu kommen zahlreiche Einzelinterviews, die im Kontext der drei Sammlungsschwerpunkte Politik, Wirtschaft und Jüdische Zeitgeschichte stehen und oftmals Bezüge zu Archivbeständen haben.

Interviews in Archivbeständen

Unter den rund 3000 Ton-, Film- und Videodokumenten des Archivs für Zeitgeschichte finden sich auch in Nachlässen und institutionellen Beständen zahlreiche Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Die grösste Sammlung umfasst 75 Videointerviews des Vereins humem mit Schweizerinnen und Schweizern, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe engagierten. Übernommen wurden auch die Interviews, die der Regisseur Eric Bergkraut im Auftrag der Gamaraal Foundation für die Ausstellung «The Last Swiss Holocaust Survivors» führte. Zudem werden regelmässig Forschungsdokumentationen mit Oral History-Interviews übernommen. Damit stellt das Archiv sicher, dass die Rohdaten interviewbasierter Forschungsprojekte überprüfbar und für weitere Auswertungen zugänglich sind. Historikern und Historikerinnen, die ein Oral History-Projekt planen und ihre Interviews langfristig sichern möchten, stellt das Archiv für Zeitgeschichte Praxistipps zur Oral History (siehe folgender Reiter) zur Verfügung.

Zeitzeugeninterviews sind Momentaufnahmen: Sie dokumentieren persönliche Erinnerungen zu dem Zeitpunkt und in dem Kontext, in dem das Interview aufgezeichnet wird. Als historische Quellen sind sie Unikate. Wenn diese einzigartigen Dokumente für spätere Generationen erhalten werden und die darauf beruhenden wissenschaftlichen Erkenntnisse nachvollziehbar bleiben sollen, sollten die Interviews (oder zumindest deren Transkriptionen) einem Archiv übergeben und nach Ablauf einer angemessenen Schutzfrist zugänglich gemacht werden.

Ermöglichung von Quellenkritik

Der historische Wert von Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen hängt nicht nur vom Inhalt der Gespräche ab, sondern auch davon, ob die Interviews einer Quellenkritik unterzogen werden können. Dabei ist entscheidend, dass über die interviewten Personen zuverlässige Informationen erhoben werden und der Kontext, in dem die Interviews entstanden, selbstkritisch offengelegt wird. Dazu müssen ein Download biografischer Fragebogen (DOCX, 19 KB) und ein Download Interviewprotokoll (DOCX, 19 KB) konzipiert und zusammen mit den Interviews überliefert werden.

Übergabe von Forschungsdokumentationen ans Archiv

Die Archivierung von Tondokumenten setzt eine genügende Aufnahmequalität voraus. Deshalb sind einige Download technische Hinweise (PDF, 118 KB) zu beachten. Um die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen über die Verwendung des Interviews aufzuklären und nachträgliche Diskussionen zu vermeiden, ist das Einholen einer Download Einwilligungserklärung (DOCX, 21 KB) immer zu empfehlen. Bei grösseren Projekten ist es sinnvoll, eine Download Vereinbarung (DOCX, 22 KB) abzuschliessen, welche die wissenschaftliche Nutzung und die Archivierung ausführlich regelt. Ist eine Archivierung geplant, sollte den Interviewten die Möglichkeit einer (langen) Schutzfrist eingeräumt werden. Es ist zudem dringend empfohlen, mit dem Archiv, das die Interviews später übernehmen soll, bereits zu Beginn des Projekts Kontakt aufzunehmen.

Transkription und Erschliessung von Interviews

Es ist schwierig, sich in mehrstündigen Tonaufnahmen zurechtzufinden. Die mit Timecodes versehene Transkription ermöglicht dagegen einen raschen Überblick und das gezielte Durchsuchen des Textes. Sie ist deshalb state of the art in Oral History-Projekten und wird zusammen mit der Tonaufnahme, die sie nicht vollwertig ersetzen kann, archiviert. Um den Aufwand kalkulieren zu können, ist die Beachtung einiger Download Hinweise zur Transkription (PDF, 140 KB) nützlich. Weil Volltexttranskriptionen nicht immer möglich sind, hat das Archiv zudem Download interne Richtlinien (PDF, 208 KB) zur Erschliessung von Oral History-Interviews definiert.

Rechtlicher Hinweis: Die hier zur Verfügung gestellten Dokumente sind Empfehlungen des Archivs für Zeitgeschichte. Sie können frei verwendet und den aktuellen Bedürfnissen des jeweiligen Projekts sowie den sich wandelnden rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Die Verwendung der zur Verfügung gestellten Dokumente geschieht auf eigene Verantwortung. Eine Haftung des Archivs ist in jedem Fall ausgeschlossen.

Biografische Erfahrungen von Jüdinnen und Juden in der Schweiz

Das Archiv für Zeitgeschichte beherbergt viele Zeitzeugnisse von Jüdinnen und Juden, die über die nationalsozialistische Verfolgung und den Holocaust berichten. Die biografische Erfahrung von Jüdinnen und Juden in der Schweiz geht aber über diese prägende und für viele traumatisierende Zeit der Verfolgung hinaus: «Im Übrigen habe ich nach diesen schrecklichen Erfahrungen ein erfülltes und interessantes Leben gehabt», erklärte ein Holocaustüberlebender am Schluss seines Berichts den zuhörenden Schülerinnen und Schülern. Doch für diese Erfahrungen blieb im Rahmen der Begegnung zwischen Holocaustüberlebenden und Schulklassen zumeist keine Zeit.

Ausgehend von dieser Beobachtung führten Christiane Uhlig, Uriel Gast und Daniela Hersch mit 16 deutschsprachigen und 8 französischsprachigen Jüdinnen und Juden in den Jahren 2015 und 2016 lebensgeschichtliche Interviews. Die 12 Frauen und 12 Männer wurden zwischen 1918 und 1944 geboren, manche in der Schweiz, andere im Ausland. Die Gespräche dauerten zwischen einer und über drei Stunden und sind vollständig transkribiert. Sie dokumentieren die Vielfalt biografischer Erfahrungen von Jüdinnen und Juden in der Schweiz und sind eine Ergänzung zum Sicherungs- und Dokumentationsprojekt Bildarchiv Schweizer Judentum. Das Oral History-Projekt konnte dank der grosszügigen Unterstützung durch die Dr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung realisiert werden.

Projekt

Angesichts der damals geltenden rigorosen Sperrfristen des Schweizerischen Bundesarchivs lud der Gründer des Archivs für Zeitgeschichte, Klaus Urner, ab 1973 regelmässig Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu Kolloquien ein. Diese Gespräche, deren Schwerpunkt in den ersten Jahren auf der Zeit des Nationalsozialismus lag und die heute mit einem breiteren thematischen Spektrum durchgeführt werden, finden im halböffentlichen Rahmen des Freundes- und Fördererkreises des Archivs für Zeitgeschichte statt.

Archivbestand

Die mittlerweile über 160 digitalisierten Tondokumente des Bestandes «Zeugen der Zeit» werden teilweise durch schriftliche Dokumente (Gesprächsprotokolle, Referatsmanuskripte, zeitgenössische Dokumente etc.) ergänzt. In AfZ Online Archives sind Ausschnitte der Kolloquien zu hören, die im Lesesaal des Archivs  in digitaler Form integral konsultierbar sind.

 

Als Folge des Beschlusses der europäischen Bildungsminister, die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945 als internationalen Gedenktag zu etablieren, hat sich das Archiv für Zeitgeschichte entschieden, ein Bildungsangebot für Schulklassen zu schaffen.

Begegnungen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen

Von 2005 bis 2012 koordinierte und moderierte Daniel Gerson für die Dokumentationsstelle Jüdische Zeitgeschichte diese Begegnungen zwischen Schulklassen und Holocaustüberlebenden. Insgesamt fanden 27 Gespräche statt, an denen über 40 Klassen teilnahmen. Diese beeindruckenden Zeitzeugnisse sind als Tondokumente und als Videomitschnitte im Lesesaal konsultierbar und können für schulische Zwecke auch ausgeliehen werden.

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